R101: (My) Massive Attack(s) are back

03:15hrs in the Night. Mein Herz schlägt unnatürlich schnell. Meine Blase drängt mich ins Badezimmer. Bis zum Hals. Meine Zehen und Finger kribbeln vor schlechter Durchblutung. Mein Brustkorb schmerzt vom Husten. Die Lunge pfeift.

Ich drücke den kalten Stahl meines Telefons gegen meine Stirn. Massive Attacks Dead Editors in voller Lautstärke. Ersticke den kleinen Lautsprecher, indem ich das Telefon gegen meine Nasenwurzel presse. Meine Schädelknochen leiten die Töne als Vibrationen weiter.

Nase. Augenhöhle. Wangenknochen. Kiefer. Kinn. Und zurück. Und immer wieder direkt ins Ohr. Mit voller Lautstärke. Ohrenbetäubend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein klein wenig so als würde man das Rasiermesser ansetzen. Die richtige Stelle auf der Haut, die richtige Position des Messers suchend. Zögernd. Unentschlossen. Zu leben oder zu sterben.

Wie in der Klinik. Damals. Alleine. In Quarantäne. Ohrenbetäubend. Immer wieder. Bela Lugosi is dead. Bauhaus. Die Eröffnungssequenz von The Hunger. David Bowie. Tod durch Krebs. Inzwischen. Wie alle anderen. Das nennen wir Kultur. Zivilisation. Den Tod in Kauf nehmend. Manche müssen wir opfern, um die Götter milde zu stimmen. Nicht uns alle zu holen. In ihre Hölle. Massive Attacks Voodoo in my Blood. Ohrenbetäubend. Wie eine Droge. Schätze ich. Ohrenbetäubend. Schmerzbetäubend. Gedankenbetäubend. In der Gegenwart verankernd. Im Hier und Jetzt. Im Nirvana. Im Nirgendwo. Bloß nicht in der Vergangenheit. Bloß nicht in der Zukunft. Nicht denken. Nur fühlen. An der Schmerzgrenze entlang.

Den Daumen im Dunklen auf die Lautsprecheröffnung drücken. Draussen Bewegung auf dem Gang. Drinnen die Töne gefangen im Gerät. Ich gefangen im Zimmer. Wie jetzt, Jahre später. Gefangen in diesem Leben. In diesem Körper. Immer noch. Weit entfernt die Töne. Bela Lugosi is dead. Undead. Undead. Undead. Vor langer Zeit. Und wieder Dead Editors. Dead Editors. Dead Editors.

Was war das für ein fantastisches, einmaliges Gefühl, mit der Hand über den krebskahlen Schädel zu streichen. Zu streicheln. Beinahe zärtlich. Dennoch männlich. Beruhigend. Morgens in den Spiegel zu sehen. Nach der Dusche. Glücklich, am Leben zu sein. Jeden Morgen, den man noch aufstehen konnte. Laurie Andersons Oh Superman im Ohr. Ein wenig wie Papillon. Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. Koestlers Sonnenfinsternis.

Hustend in meinem Bett. Allein. In der Dunkelheit. Voodoo in my Blood. Aha. Aha. Aha. Der Schein des Telefons. Die Buchstaben auf dem Display. Hustend wie mit 18. Auf dem Marktplatz. Ein Glas Rotwein in der Hand. Ein schöner Tod, dachte ich damals, irgendwann. Mit Rotwein. An Lungenkrebs sterbend. Ohne je geraucht zu haben. Warum auch. Der alte Mann. An sein Leben zurückdenkend. Der junge Mann. Sein Leben vorausahnend. Sich in der Mitte irgendwo treffend. Überschneidend. Einander nicht erkennend. Nicht grüßend. Nicht beachtend. Natürlich nicht.

Das Telefon auf die Wangenknochen pressend. Smells like Teen Spirit. Vians Ameisen kommen.