ÖKONOMIE IST DIE NEUE DEMOKRATIE – Meine Einreichung zum Essaypreis Hertie-Stiftung und Wirtschaftswoche

Mit ANTISEMITISMUS- & KAPITALISMUS-KRITIK gewinnt man keinen ‘Essaypreis Hertie-Stiftung und Wirtschaftswoche’, klar. Doch die Stiftung sollte die Chance haben, Größe zu zeigen, indem sie zu meinem Text stand.

Also sandte ich ihn ein. Hier ist er. Ist er so schlecht?
Vielleicht ist er einfach nur zu wahr für Stiftung und Wiwo.

ÖKONOMIE IST DIE NEUE DEMOKRATIE

Liebe Jurorïnnen, liebe Hertie-Stiftung, liebe Wirtschaftswoche, liebe Lesende,
Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Es sind verrückte Zeiten, Sie wissen, was ich meine.

Außer vielleicht … (nur ein Gedankenspiel) …

Verrückt, die Wiwo berichtet nichteinmal von der Verlängerung der Ausschreibung zum eigenen Essaypreis in Kooperation mit der Hertie-Stiftung. – A propos ‘Verlängerung’? Ist eine neue Deadline nicht etwas für Loser? Sehr schade für einen Preis, der der wichtigste deutsche Demokratie-Preis sein könnte, machte er seine Hausaufgaben.

Ist es nicht auch ein bisschen verrückt, dass eine Stiftung, wohl ins Leben gerufen, um Steuergelder dem demokratischen Handeln der Gesellschaft zum höchst eigenen Nutzen zu entziehen (1), einen Essaypreis zum Thema ‘Demokratie und Wirtschaft’ ausschreibt?
(Ersteres ist mehr als 20 Jahre her und gewiss gut ausgegangen. Im Internet steht nichts.)
Der Verdacht liegt nah, wenn von rund 1.200 Millionen Euro Stiftungsvermögen Ende 2021 nur 28,1 Millionen Euro, ie ca 2,4 Prozent, verfördert werden (2), oder?

Ok, mit solchen Intros kann man keinen … Essaypreis gewinnen. Auch nicht, wenn dieser Preis explizit fragt: “Wozu verpflichtet Eigentum” (3)?

Logisch und richtig (um ein paar Pluspunkte zu sammeln) ist natürlich das stifterische Amalgam von Hirnforschung und Demokratie-Stärken. Auch mich würde interessieren, wer so verrückt wäre, in seinem marktwirtschaftlich-täglichen Kampfe um seine unver-äußerlichen Menschenrechte nicht auf die Demokratie zu setzen und zu hoffen. Da kann ja irgendetwas im Hirne nicht stimmen.

Ist es nicht ebenso ein bisschen verrückt, dass eine Unternehmung, die ihren Reichtum der Arisierung einer jüdischen Familie & Firma durch das Nazi-Regime verdankt, sich (mehr oder weniger) bis heute weigert, die Umstände offen und ehrlich zu publizieren (4)?
Was wiegt schwerer, fragt man sich: an Steuern oder an der Wahrheit sparen?
Dabei wäre man mit dem Outing in guter Gesellschaft – Bayer, BASF, IG Farben, VW et al.

Ist es nicht noch ein bisschen verrückter, dass die Stiftung dabei weder auf Studierende und Alumni ihrer eigenen Hochschule, die sie auf “Führungsaufgaben an der Schnittstelle zwischen öffentlichem Sektor, Wirtschaft und Zivilgesellschaft” (7) vorbereitet, hören, noch mit ihnen kooperieren wollte?

Im Gegenteil bremst die Stiftung dies so urdemokratische Ansinnen um Transparenz, Teilhabe, Wahrheit, Gleichheit, Diskurs, Mitsprache, Mitbestimmung, Moral dieser jungen Menschen aus, widerspricht zugunsten des eigenen ephemeren Images dem ureigenen Leitbild. Verrückt, oder?

Warum nicht ein eigenes Leuchtturm-Projekt der eigenen Hochschule mit den eigenen Studierenden daraus schmieden? (Virtuellen) Stolpersteinen gleich die Bahnen des Judentums auf der Weltkarte der deutschen Wirtschaft vermessen, dokumentieren, zelebrieren? Oder wäre das vermessen? Unvernünftig gar im Sinne dieser ‘Wirtschaft’?

Dies Projekt könnte die wundervoll herausfordernde Antwort auf diese Frage des Essaypreises sein: “Wie werteorientiert können und müssen wir wirtschaften?” (3). Eben so werteorientiert, beinahe auf Höhen des Kantschen Imperatives, dass wir menschlich-demokratisches Vorbild sind, in jedem Moment, vor allem wenn gerade niemand guckt.

Im Ideal lehrte man damit – und gerne darüberhinaus – auf ebenso wundervolle Weise Governance am lebenden Objekt. Und lernte ein wenig an sich, über sich und für sich selbst, denn “Streit darf keine Regeln haben” postuliert sogar Prof. Dr. Andrea Römmele, Mitglied der Hochschulleitung der Hertie School höchstselbst (6).
Das gilt bei Hertie wohl nur für das Establishment, nicht für das Engagement. Die Engagierten sollen gehorchen, nicht streiten, nicht widersprechen. – Was mir dann eher Symbol autokratischer Hierarchie der Wirtschaft denn Zeichen wohldosiert-zivilcoura-giert-bürgerlicher Anarchie der Demokratie scheint. Schade. Welch’ leuchtturmartig-unartiges Zeichen hätte man setzen können. Und für welches entschied man sich.

Ist es nicht noch viel verrückter, dass das Establishment längst urbi et orbi jedwedes private, bürgerliche, politische, wirtschafts-kritische Engagement zu hindern sucht? Auch demokratisches Engagement. Könnte ihm dies alles doch gefährlich werden. Die eigenen Profite schmälern, die allein deshalb so Millionen- und Milliarden-schwer sind, da man längst Politik und Politiker, Gesetze und Grenzwerte und Gerichte auf seine Seite zog.

Verrückt, aber als ‘vernünftig’ paraphrasiert man heute dies Gebaren des wirtschaftlichen Pragmatismus. Also wenn zB ein Unternehmen den Großteil seiner Kosten (Kurzarbeit, Umweltschutz, Lärmschutz, Recycling) vergesellschaftet, Gehälter, Löhne, Steuern mini-miert, Dividenden maximiert. Denn all das kommt ‘vernünftigerweise’ der Profitabilität und Skalierbarkeit des Business Models, der Innovationskraft des Unternehmens, dem Fort-schritt der Wirtschaft, den Arbeitsplätzen der Menschen, dem Wohlstand der Gesellschaft zugute, oder? Was unser exponentieller Weg in die Klimakatastrophe täglich beweist.

Fabel(-)haft ähnlich reduziert auch die 1.200 Millionen Euro schwere Stiftung ihren Einsatz für die Demokratie in diesem vielleicht kleinsten all ihrer Projekte: 2021 schrieb man noch ein Preisgeld von 15.000 Euro aus (5). 2022 nur noch 12.000. Klar gibt es Gründe (Wegfall der Prämie für den ‘Veröffentlichten Text’? Ersatzlos gestrichen?). Evident ist damit: der Essaypreis spart. An der Demokratie. Das ist Wirtschaft pur: sparen an allem anderen ist da ‘vernünftig’. Auch wenn man im gleichen Zeitraum 10 Prozent, ie 120 Millionen, Gewinn mit dem Stiftungsvermögen generiert (2).

Bei 1.200 Millionen Stiftungssumme machen die obig ersparten 3.000 Euro 0,00025 Prozent aus, falls ich das Komma richtig verschob. Ein/e eventuell zu prämierende/r Autorïn könnte von diesen 0,00025 Prozent zwei, drei, n Monate leben.
Stehen sich Wirtschaftlichkeit und Demokratie gegenüber, ist leider klar wer gewinnt, wer immer gewinnt. Aber auch hier? Bei einer Stiftung pro Demokratie? Hm. Sehr schade.

Und warum gibt es zB für 10.000 Zeichen nicht lineare 10.000 Euro Preisgeld? Gibt es keinen Sinn, keine Liebe für das Detail? Für Qualität? Allein dies müsste einem 3.000 Euro wert sein, liebte man diesen Preis.
Oder hat Hertie die Leerzeichen vom Preisgelde einseitig wieder subtrahiert? Dabei ist die Leere zwischen den Worten relevant wie die Worte selbst. Ist diese Leere ebenso relevant wie die Leere zwischen den Zeilen. Wohl dem, der noch zwischen ihnen lesen kann.
Am Ende werden Hunderte (ich wünsche dem Preis so viele Einreichungen und mehr) mit nichts abgespeist. Das ist Kapitalismus pur. Leistung muss sich wieder lohnen, doch nur für drei. Hunderte bleiben auf der Strecke.

So ist das, sorry. Stiftungen, Mäzene, Spender engagieren sich nicht im traditionell hemdsärmeligen Sinne. Sie haben ihre Organisation. Ihre Leute. Sie geben Geld. Geld, von dem sie soviel haben, dass weder sie noch ihre Nachfahren es jemals werden sinnvoll für sich ausgeben können. Engagieren müssen sich die Armen, die Schwachen, die Alten, die Menschen, die Menschlichen. Mit ihrer Kraft, ihrer Zeit, ihrem Leben, ihrem Herzen. All die, die so verrückt sind, ihrem Leben einen Sinn über Ein- und Auskommen hinaus geben zu wollen. Die wissen, da gibt es mehr als Geld, mehr als nur immer mehr vom immer Gleichen.

Vielleicht sind die, die hier schreiben wahre Demokraten. Oder Menschen, die das Schreiben lieben. Das Formulieren. Worte. Zusammenhänge. Muster.
Warum also nicht – bei 1.200 Millionen Stiftungssumme – 100 qualifizierte Texte mit 100 Euro belohnen, dazu je einen weiteren mit 10.000, 5.000, 2.500 Euro prämieren?

Am verrücktesten ist, dass ich mir die Zeit nahm, all dies zu schreiben.
Denn mein Text wird es nichteinmal bis zur Jury schaffen.
Denn auch Awards sind keine Demokratie.

Während Politiker weiter die Mär zur Wahrheit erheben, Unternehmen, Konzerne, ‘die Wirtschaft’, der Markt also, würde mit Innovation(en) und Technologie die Welt und uns Menschen retten, entschieden Konzerne und Groß/Aktionärïnnen längst, nur sich selbst zu retten. Da muss man nicht auf Thiel, Bezos, Musk schauen, da reicht ein Blick nach Deutschland. Zu sehen – und zuzusehen – wem das Land und sein Reichtum gehören.

Ist es nicht verrückt, dies Kurzfrist/Profit-Denken einiger weniger, diese vermeintlich “Unsichtbare Hand des Marktes”, euphemistisch ‘Wirtschaft’ zu nennen, am Ende doch nur Turbo/Kapitalismus zu meinen? Es Soziale Marktwirtschaft zu nennen, am Ende doch nur Neue Soziale Marktwirtschaft zu meinen?

Leider spielen die Medien, einst Vierte Gewalt, die Älteren erinnern sich, hier gut und gerne mit. Verdienen allzu viele so ihr Geld. Indem sie sich drehen mit dem Winde der Werbe- und PR-Budgets fossiler Werbungtreibender und ihrer vorsintflutlichen Einstellung zu Fakten, Frauen, Fremden, einem Fortschritt, der längst Rückschritt ist.

All dies ist das Los der Demokratie/n unserer Welt, in der die Wirtschaft das Kurzfrist/Profit-Denken der Konzerne und Groß/Aktionärïnnen, also die Interessen der Reichsten und Mächtigsten längst über das Individuum, dessen Gesundheit, Leben, Zukunft stellte, sich längst über die Demokratie erhob, eine ‘Kultur’ schuf, auf der Ebene des Individuums längst wieder Barbarei.

Demokratie, Moral und Werte, Wahrheit an sich, Ehrlichkeit, können also nicht gewinnen. Dieser Text kann nicht gewinnen. Ich kann nicht gewinnen. Das Individuum dieser von der Wirtschaft derart bis zur Unkenntlichkeit indoktrinierten Demokratie kann nicht gewinnen.

Wir alle können nicht gewinnen. Wenn wir weiter von nichts gewusst haben wollen. Wenn wir weiter gleichgültig in die andere Richtung sehen. Statt in den Spiegel. Wenn wir uns länger etwas vormachen, etwas vormachen lassen, auf der Nase herumtrampeln lassen.
Erst recht nicht, wenn allzu viele von uns weiterhin mit schlechtem Vorbild vorangehen.

In diesem Sinne!

 

EPILOG : WÜRDE ist kein Konjunktiv.

In der Demokratie WÜRDE die Stiftung lieben, nach Wahrheit zu streben.
In der Demokratie WÜRDE die Stiftung lieben, an ihre demokratische Pflicht erinnert zu werden, Steuern zu zahlen, das Bigger Picture zu sehen, das Greater Good zu ehren.

In der Demokratie WÜRDE die Stiftung lieben, vorbildhaft voranzugehen. In allem. Vor allem an ihrer eigenen Institution, mit ihren eigenen Studierenden, ihrem eigenen Erbe.

In der Demokratie WÜRDE die Stiftung lieben, die jungen Menschen, die für Transparenz und damit Demokratie kämpfen, zu feiern. Zumal dies eines DER Themen ihrerselbst ist. Eine Herzensangelegenheit – nur nicht bei sich selbst?

Ganz schön verrückt und unvernünftig, oder? Unvorstellbar, oder? Wenn man so lange in der ach so demokratischen, sozialen Marktwirtschaft lebt, dass man sich gar nicht mehr erinnern kann, wie sich wahre Diskussion, Diskurs, Teilhabe, Mitbestimmung anfühlen.

Zeit also für ein wenig Evolution, Revolution, Zivilcouragierten Ungehorsam.
Zeit, das Denken ins Handeln zu bringen.
Zeit, die Demokratie ins Handeln zu bringen

 

Quellen:

(1) spiegel.de/wirtschaft/steuertricks-der-hertie-erben-a-64ef72bc-0002-0001-0000-000013470441, taz.de/hintergrund/!1171775, focus.de/finanzen/news/gigantische-steuerkeule-hertie-stiftungen_id_1936453.html
(2) ghst.de/pressemitteilungen/pressemeldung-im-detail/article/fuer-eine-starke-gesellschaft-hertie-stiftung-investiert-281-mio-euro-in-demokratiestaerkung-und-hi/News/detail – Leider funktioniert der dortige Link zum Bericht 2021 nicht (09. Sept, 2022). In der URL steht 281, gemeint sind 28,1 Mio.
(3) ghst.de/essaypreis – Da diese URL jedes Jahr platzsparend überschrieben wird, wagte ich ein, zwei Screenshots.
(4) deutschlandfunk.de/hertie-warenhaeuser-in-der-ns-zeit-es-geht-darum-das-100.html, sueddeutsche.de/politik/hertie-nazi-zeit-1.5075404,
(5) wiwo.de/politik/deutschland/demokratie-und-wirtschaft-schicken-sie-uns-jetzt-noch-ihren-essay/27478868.html
(6) ghst.de/interview-andrea-roemmele
(7) ghst.de/hertie-school